SCHÖNES WURSTBROT – VORWORT

SCHÖNES WURSTBROT – VORWORT

Es ist so weit: Ich bin wieder einmal zu haben. Das finde ich eigentlich seltsam, etwa so wie den Hinweis »from Darmstadt« ­– es belegt aber meine wichtigste These, nämlich die, dass Literatur gut und schön ist. Alle, die jetzt nicht zu Unrecht vermuten, ich käme aus Darmstadt, muss ich leider enttäuschen. Denn ich komme vom Mond. Ich muss das erklären? Gut: Man schrieb das Jahr `63, die große Böllerei stand bevor (die Erleuchtung!), ich wurschtelte mich so durch das Innenleben meiner Mutter, da wurde ich geboren. Ihr gilt auch gleich mein erster Dank, denn sie war es, die mich in die komplizierten Geheimnisse des Wurstbrotes einweihte. Die  Literatur kam erst später. „Die Kunst des großen  Schinkenbrotes“, so höre ich sie noch heute oft sagen, „besteht aus einem Prozent Inspiration, einem Prozent Schinken und hundertprozentigem Schwachsinn.“ Dank gilt auch meinem werten Kollegen H. P. Daniels, der die goldene Regel „Man muss den Frauen Wurstbrote  schmieren“ aufstellte, während der keine Ausnahmen gemacht werden können. Nein, alles nur das nicht: bitte keine Ausnahmen. Ausnahmen sind fast so schlimm wie Ausgaben, und das wollen wir doch, bitte schön, nicht. Ausnahmslos will ich danken: meinem Lektor Sönke Neuwöhner, in den ich von Anfang an das größte Vertrauen hatte, da er, was diejenigen unter Ihnen, die kein Zollstock sind, vielleicht nicht glauben werden, noch größer ist als ich. Danken will ich Sven Poser für Tatkraft, Knud Kohr für Potenz, Sven T. Holly Nullmeyer für Poesie. Danken will ich Orphèn Clare, die mich der Linse näherbrachte. Danken will ich Christian Nitsch, Ellen Foert, Felicitas Hoppe, allen will ich danken, wie sie mir gerade so einfallen, Lena Kurzke, ClaPü, dem Fröhlichen Wohnzimmer, AgoNie und Onkel Max, der mich das Danken wieder lehrte. Danken will ich allen, die wissen, was ein Feedback ist. Und ich danke Sabine Stiegemann, der ich das Gedicht »Zazie sitzt auf dem Ofen« gewidmet habe, und das vermutlich kein Mensch je verstehen wird. Die Selbst- und Ungereimtheiten dieses Buches sind nicht etwa gleichzeitig  entstanden, sondern sauber hintereinander weg. So etwas kann schon einmal dauern. Ihre Summe ergibt dafür nicht nur mein erstes Buch, sondern sogar »Schönes Wurstbrot«. Ich empfehle die Lektüre am Abend. Glücklicherweise gehöre ich zu den Menschen, die keinerlei Ernährungsprobleme zu beklagen haben. Wenn mein  Körper nach Gummidrops verlangt, signalisiert mein zentrales Nervensystem »Gummidrops« und nicht etwa Kummer. Vielen ist diese eigentlich völlig normale Steuerung leider abhandengekommen. Jedem, der schon zum Frühstück nach meinem kleinen Brevier greift, haue ich hiermit pro forma vor das Setzei – gewiss, mein  Wurstbrot enthält ausreichend Ballaststoffe und sogar, was für ein Wurstbrot eher ungewöhnlich ist, das eine oder andere Vitamin, trotzdem: Wurstbrot ist nichts für frühe Stunden. Es in einem Stück zu verschlingen hingegen halte ich für angebracht: weg damit und Weg frei für „Schönes Schmalzbrot“, „Schönes Quarkbrot“, usw. Ach ja: Ein Buffen – sie wollen wissen, was das ist? Ein Buffen ist die Großform von Büffchen, etwa so wie Schnitte die Großform von Schnittchen ist. Buffen sagt man, so ich nicht irre, in Thüringen zu einer hinlänglich großen Portion Brot mit etwas drauf. Es muss nicht immer Wurstbrot sein. Ich danke.

Roland Oelfke, Juli 1993

DRUCKREIF

»Kartoffeln« zu schreiben ist Quatsch. Sie zu kochen ist viel besser. Ja, ja, so ist das.

Manchmal denkt man es sei schwierig, eine gute Geschichte zu schreiben. Dabei ist es ganz einfach. Man denke nur daran, wie man eben noch durch den Park ging, und schon hat man die halbe Geschichte.

Vergessliche Menschen haben es noch leichter. Sie brauchen an überhaupt nichts zu denken. Sie können gleich in den Park gehen.

Und dann der Park: Ein schattiges Plätzchen.

außerdem erschienen in: Agonie Nr. 3, Kusterdingen 1992; Freie Zeit Art Nr. 1, Wien 1992; Humus 42 Nr. 2, Kassel 1992; Martin R. Podlasky (Hrsg.): Metastasen der Seele, Norderstedt 1992; Wohnzimmer Nr. 9, Wien 1994

ICH SCHREIBE KEINE ANTIFASCHISTISCHEN BÜCHER

„Was machen Sie da?“ fragte ein mündiger Staatsbürger einen vollmundigen Burger. Doch der sagte nichts. „He Sie!“ rief der mündige Staatsbürger aufgebracht, „was machen Sie da?“ „Ich schreibe keine antifaschistischen Bücher“, murmelte der vollmundige Burger und leckte sich den Senf von den Lippen.

außerdem erschienen in: Martin R. Podlasky (Hrsg.): Metastasen der Seele, Norderstedt 1992

ICH TRAGE BÜGELFALTEN

Ich habe den Blick für die Weite,
das Pathos der Pathologie,
den Impetus der Phantasie,
ich habe die epische Breite,
doch kümmert es mich nicht die Bohne,
ich habe einen in der Krone
und ein Ding zu stehn.
Ich trage Bügelfalten
in meinem Slip und kalten
Kaffee nach Athen.

außerdem erschienen in: Axel Kutsch (Hrsg.): Zehn. Neue Gedichte deutschsprachiger Autoren, Köln 1993

WER »A« SAGT, MUSS AUCH »B« SAGEN

»A« rasiert sich, weil »B« bald kommt. »B« hat empfindliche Haut. »A« überlegt: Heute ist Montag. »C« kommt am Dienstag zum Frühstück. »C« leckt keine Ascher aus. »A« reduziert den Tabakkonsum. »A« überlegt: Am Mittwoch besuchen »A« und »D« die Oper. Beim Gedanken an »D« bekommt »A« einen Steifen. »A« hat Lust zu onanieren. »A« überlegt. Eine Zigarette täte »A« jetzt gut. »C« leckt keine Ascher aus. »A« denkt, dass es diesmal mit »C« klappen könnte. »A« ist fest entschlossen. »A« benutzt ein After-Shave.

Eigentlich müsste »B« längst da sein. »A« überlegt. Das Telefon klingelt. Es schellt an der Tür. »A« überlegt. Aber »A« ist nicht dumm. »A« hebt ab. »A« sagt „Hallo?“ »A« bittet »B«, doch bitte kurz zu warten.

»A« geht zur Tür. Ja, »A« hat zwei Eier. Nein, »A« eilt es nicht. »A« hat jemand an der Strippe.

»A« fragt »B«, ob etwas passiert sei. »B« ist das alles sehr unangenehm. »A« macht es nichts. »B« hat gar keine andere Wahl. »A« versteht. »B« verspricht, sich bald zu melden. »A« lässt grüßen.

»A« überlegt. »A« ärgert sich. »A« findet, dass sich »A« jetzt eine Zigarette verdient hat. Dann fällt »A« »D« ein. »A« langt »A« an den Schwanz. »A« onaniert. Das Telefon klingelt. »A« überlegt, ob »A« abheben soll. Aber »A« ist nicht dumm. »A« hebt ab. »A« sagt „Hallo?“ »A« fragt »C«, ob etwas passiert sei. »C« tut es leid, dass es »C« gar nicht gut geht. »A« tut es auch leid. »C« fragt, ob es »A« etwas ausmacht. »A« weiß gar nicht, wie »C« darauf kommt. »C« tut es wirklich sehr leid, dass es »C« gar nicht gut geht. »A« greift nach den Zigaretten. »A« passt auf, dass »C« nichts hört. »C« leckt keine Ascher aus. »A« geht es gut. »C« verspricht, sich bald zu melden. »A« wünscht gute Besserung.

»A« überlegt. »A« ärgert sich. »A« raucht eine nach der anderen. »A« onaniert. Das Telefon klingelt. »A« überlegt, ob »A« dumm ist. »A« hebt ab. »A« sagt „Hallo?“ „Ah!“ sagt »A«. »D« sagt, dass da »D« sei. »A« fragt »D«, ob etwas passiert sei. »D« ist es peinlich, dass »D« vergaß. »A« ist das auch schon passiert. »D« wünscht trotzdem viel Spaß in der Oper. »A« glaubt, dass »A« etwas einfallen wird. »D« verspricht, sich bald zu melden. »A« würde sich freuen.

»A« überlegt. »A« ärgert sich. »A« raucht eine nach der anderen. »A« ruft »E« an.

außerdem erschienen in: Salbader Nr. 7, Berlin 1991; Humus 42 Nr. 3, Kassel 1994

I WAS MADE FOR LOVING YOU

I WAS MADE FOR LOVING YOU

Ich tauge nicht zur Untermiete
und auch nicht zum Tiefseetauchen,
ich bin praktisch nicht zu brauchen.
Als Kuli bin ich eine Niete,
als Steuermann ein Schlag ins Leere,
mir fehlt das Zeug zur Heckenschere
und ein Argument.
Für mich gibt’s nur dies paar Schuh:
I was made for loving you,
das ist mein Talent.

außerdem erschienen in: Literaturm Nr. 3, Berlin 1991; Das Wohnzimmer Nr. 4, Wien 1991

DER ANZUG

„Und was machen Sie so?“ „Ich mache Ordnung.“ Diese Antwort ist keineswegs scherzhaft gemeint, doch es freut mich, dass sie so aufgefasst wird.

Man sagt Ordnung, und hat sie im selben Moment noch geschaffen. Ordnung ist eigentlich überall wichtig, vor allem aber im eigenen Leben. Man muss immer darauf achten, dass alles in Ordnung ist. Meine Freundin tut das. Wenn sie mit jemand anderem geschlafen hat, schenkt sie mir hinterher was. So hat sie ihren Spaß, und ich habe was. Das ist in Ordnung.

Das letzte Mal hat sie mir einen Anzug geschenkt. Ein Anzug ist etwas sehr Schönes und Nützliches zugleich. Mein Anzug hat Taschen für Tücher und Bücher, für Krebse und Geld. Leider habe ich kein Geld, sonst könnte auch ich meiner Freundin was schenken. Und wie gern ich das täte! Denn ich hab meine Freundin sehr lieb.

Ich hoffe, dass mein Anzug den Frauen gefällt. Bezüglich der Frauen von heute muss ich Folgendes sagen: Es gibt derzeit sehr viel Frauen, und viele von ihnen sind vergnüglich gekleidet. Das ist in Ordnung. Dennoch gibt es Grund zu klagen. Manche der Frauen zum Beispiel, die vergnüglich gekleidet sind, sehen einen, sieht man sie nur freundlich an, ganz grimmig an. Einige schauen auch grimmig zur Seite, nach oben, nach vorn, und jedenfalls woanders hin. Und wieder andere sind vorzüglich gekleidet, und trotzdem schaut man sie nicht an. Das alles ist dumm und überhaupt nicht in Ordnung.

Meine Freundin trägt Blue Jeans, doch sieht sie mich stets freundlich an. Freundlich! Mit wehendem Haar!

außerdem erschienen in: Freie Zeit Art Nr. 1, Wien 1992; Salbader Nr. 10, Berlin 1993