Durchboxen (2000)

Ach, Fernsehen ist ja eine so saubere Sache. Überall Seife, und die Hirnspüler sind ständig aktiv. Nun sieht sogar schon ein Grimme-Preisträger wie Heinrich Pachl in der „Docu-Soap die Rettung des Dokumentarischen durch Verseifung“. In vier mundgerecht geschnittenen Häppchen serviert Pachl uns, Videoclip-like, die verschwitzte Geschichte vier junger ausländischer Kids aus Köln-Kalk, die sich im wahrsten Sinne des Wortes Durchboxen. Besonders nah am Mann (bzw. der Frau) ist der Regisseur dabei allerdings nicht, und so erfährt man denn auch nicht viel mehr, als dass der Bestätigung im Ring die Frustrationen in der Schul- und Berufswelt entgegenstehen, durch die man sich nicht so leicht durchmogeln kann. Übernehmen Sie, Bruce Lee …

Signale aus dem Dickicht (2000)

Schon vor langer Zeit befand Wolf Wondratschek: „Amokläufer mit Stadtplänen sind erlaubt“ – eine Erkenntnis, die sich gut auf Manfred Hulverscheidts einerseits streng geordneten, anderseits aber im Chaos der Eindrücke schwelgenden Film Signale aus dem Dickicht anwenden lässt. Die Idee hinter diesem „Dokumentarfilm“ genannten Experiment: Man nehme vier Megalopolen und ordne sie den vier Lebensphasen Kindheit, Jugend, Erwachsensein und Alter zu, sammle diesem Formwillen entsprechendes Material und schneide alles zu einem Strom von Bildern und Tönen zusammen. In Mexiko-City beginnt diese weltumspannende Reise, die uns später in die Region um Hongkong und nach London führt, um schließlich in Detroit-City ihr Ende zu finden. Dabei bietet Hulverscheidt dem Zuschauer die seltene Gelegenheit, selber auf Spurensuche zu gehen und wartet mit interessanten Beobachtungen zu Entstehung, Entwicklung und Genese von urbanen Strukturen auf. Unangenehm akademisch dagegen wird sein nur von sparsamen Kommentaren begleiteter Film, wenn er – auch noch unterstützt durch Pfeile oder künstlich gesetzte Zäune im Bild – die Austauschbarkeit der Städte beklagt.

Erschießt sie wie die Hunde! (1998)

„Sie sind eine Mischung aus Fuchs und Schwein“ – mit dieser Beschimpfung entzieht Generalstaatsanwalt Andrei Wyschinski, Autor der berühmten Theorie „Das Schuldbekenntnis ist die Königin der Beweise“, dem Parteitheoretiker Nikolai Bucharin das buchstäblich letzte Wort beim letzten der drei großen Schauprozesse in Moskau am 12. März 1938. Wenige Stunden nach der Urteilsverkündung, während Angehörige noch um Begnadigung bitten, werden Bucharin und die anderen Angeklagten erschossen. Die Umgangsformen sind rau im Russland am Vorabend des Zweiten Weltkriegs. Allein 1937/38 werden Hunderttausende von „Volksfeinden“ zum Tode verurteilt, Millionen verbannt. Die Gefangenen im Gulag erzählen sich folgenden Witz: Es sprechen zwei Häftlinge im Lager miteinander. Fragt der eine: „Wie viel hast du gekriegt?“ – „Fünf Jahre.“ – „Wofür?“ – „Für nichts.“ –„Unsinn! Lüge! Für nichts bekommt man zehn Jahre!“ Allein schon der Zweifel an der Schuld eines anderen stellt eine Straftat dar, und sogar Offiziere der Geheimpolizei begehen aus Angst vor einer Verhaftung vorsorglich Selbstmord. Denunziation ist Bürgerpflicht, die Verunsicherung der Bevölkerung total. Ebenso total wie der Machthunger Stalins – er will nicht nur einfach den Tod seiner Feinde, er will sie zuvor auch noch moralisch, politisch und ideologisch vernichten.

Für seinen Dokumentarfilm Erschießt sie wie die Hunde! befragte Heinrich Billstein erstmals Zeitzeugen der Moskauer Schauprozesse 1936 bis 1938. Begleitet von der „Symphonie in c-Moll, op. 43“ von Dimitri Schostakowitsch verfolgt der Film die kalte Systematik von Stalins Terror. Kapitel für Kapitel führt er in die Materie ein, fügt er sein Material zu einem Gesamtbild. Freunde und Hinterbliebene der Angeklagten der Schauprozesses – darunter der langjährige Vorsitzende der kommunistischen Internationale Grigori Sinowjew und der ehemalige Ministerpräsident Alexei Rykow – kommen ebenso zu Wort wie einstige Offiziere des NKWD, Redakteure der „Prawda“ berichten von ihrer propagandistischen Begleitmusik zu den Schauprozessen, und ehemalige Lagerinsassen erläutern, wie man von ihnen die absurdesten Schuldgeständnisse erzwang. Weshalb sich vor 60 Jahren Schriftsteller wie Lion Feuchtwanger von dem Despoten täuschen ließen, vermag auch dieser Dokumentarfilm nicht zu erklären. Wohl aber, warum die alte Garde Lenins – der unsichtbare Hauptangeklagte der Prozesse Leo Trotzki wurde 1940 im Exil in Mexiko ermordet – keine Überlebenschance hatte: Leugneten sie die Anschuldigungen, „Agenten der Hitleraufklärung“ zu sein, hätten sie die Gerichtsverfahren als politische Schauprozesse entlarvt, und wären schuldig im Sinne Stalins gewesen – als Verräter am Sozialismus. Indem sie, als letzten Dienst für die Partei, ein Geständnis ablegten, um damit wenigsten ihrem Glauben an den Sozialismus treu zu bleiben, spielten sie mit im grotesken Schauspiel und willigten ein in die eigene Vernichtung. Die Partei hat immer Recht.

Kennewick Man (2001)

Nur wenigen Menschen dürfte es vergönnt sein, 9000 Jahre nach ihrem Tod für einen derartigen Wirbel zu sorgen, wie der Kennewick Man. 1996 am Ufer des Columbia River bei Kennewick im Staate Washington aufgefunden, beschäftigt sein Skelett bis heute die amerikanische Justiz. Der Hintergrund: Seit 25 Jahren kämpfen die Indianer der USA und Kanadas einen erbitterten Kampf gegen Museumskuratoren und Anthropologen, in dem sie die Herausgabe der Gebeine ihrer Urahnen fordern. So verständlich ihr Zorn über Grabplünderungen und andere Schandtaten in der Vergangenheit ist (1864 z.B. zogen Militärärzte der US-Kavallerie nach einem Überfall auf die Cheyenne über das Schlachtfeld und hackten den Toten die Köpfe ab, um ihre Schädel ans Army Medical Museum zu schicken), so berechtigt scheint das Interesse der Wissenschaftler an diesem überaus seltenen Fund, der offensichtlich keineswegs indianischen Ursprungs ist und Aufschluss über die Frühgeschichte Amerikas geben könnte. Mark Davis hat sich mit einer sehenswerten Dokumentation diesem politisch brisanten Stoff angenommen.

Abenteurer (2003)

Einer von ihnen kämpft sich innerhalb eines Jahres zu Fuß von Pol zu Pol. Ein anderer bringt mutterseelenallein einen Blow-out, die plötzliche Explosion einer Ölquelle, unter Kontrolle. Ein dritter stellt, praktisch auch im Alleingang, den französischen Geheimdienst und die französische Regierung bloß. Und ein vierter misst sich mit dem Dschungel und wird zum Übervater einer bis dahin unbedeutenden Survival-Bewegung. Doch es sind längst nicht nur die Heldentaten, die an der vierteiligen ARD-Dokumentation über die Abenteurer Rüdiger Nehberg („Der Dschungelläufer“), David McTaggart („Der Greenpeace-Macher“), Red Adair („Der Firefighter“) und Arved Fuchs („Der Eiswanderer“) interessieren. Vielmehr hat der Zuschauer hier endlich die Chance, diese Ausnahmemenschen näher kennenzulernen und auch aus ihrer Biografie heraus zu verstehen. Eine vorbildliche Doku-Reihe, die unter anderem zeigt, dass ein abenteuerliches, selbst bestimmtes Leben fast immer auch in ein soziales Engagement mündet.

Unterwegs als sicherer Ort (1997)

1942 als Sohn jüdisch-deutscher Emigranten in einem Ghetto geboren, unternahm der Kölner Schriftsteller Peter Finkelgruen 1996 eine Reise zu den wichtigsten Stationen seines Lebens: Shanghai, Prag, Haifa. Seinen präzisen Erinnerungen an die Zeit der Verfolgung durch die Nationalsozialisten steht in Unterwegs als sicherer Ort die freundliche Gleichgültigkeit der besuchten Städte gegenüber, die das Grauen des Nazi-Terrors vergessen haben. Doch Peter Finkelgruen weiß: Man braucht nur zu graben. In seinem Buch „Haus Deutschland“, in dem er den Mord an seinem jüdischen Großvater in Theresienstadt schildert, hat er sich gefragt, was ein perfekter Mord ist. Seine Antwort: „Vielleicht der, von dem alle wissen, dessen Mörder alle kennen, zu dem aber alle schweigen.“

Und vor mir die Sterne (1998)

Mit ihrer Dokumentation Und vor mir die Sterne leisten Ulrike Franke und Michael Loeken wertvolle Erinnerungsarbeit. Sie verfolgen darin Das Leben der Schlagersängerin Renate Kern von der „Königin der Provinz“, die mit Titeln wie „Alle Blumen brauchen Sonne“, „Lieber mal weinen im Glück“ oder „Du musst mit den Wimpern klimpern“ Verkaufserfolge landete, bis zur am Musikgeschäft zerbrochenen Tingeltante, die zum Ende ihrer Tage mit einer bulgarischen Tanzband zwischen Helsinki und Stockholm kreuzte – und Country sang. Einem unausstehlichen männlichen Fanpaar, zahlreichen Fernsehausschnitten und privaten Super-8-Aufnahmen, vor allem aber den sorgsam ausgewählten Tagebuchnotizen der Kern ist es zu verdanken, dass dabei ein erschütterndes Porträt einer Künstlerin entstand, das weit über die Einzelperson hinaus zu verweisen vermag.