Mit seinem Film Gefangen im Jemen kehrte Peter Patzak in die harte Welt der Männerrivalitäten zurück und schickte seinen „Joker“ Peter Maffay in die Wüste, sich mit seinem Sohn auszusöhnen und dessen abenteuerlustigen Freunde vor den Gefahren einer Motorradtour im aufständischen Norden des Landes zu schützen. Was ihm, obwohl er tapfer Tretminen stemmt und als einziger Kenner der jemenitischen Gepflogenheiten wacker gegen die ahnungslosen Greenhorns aus Deutschland annuschelt, letztlich nicht gelingen mag. Neben einem zuweilen arg nervenden Heldenpathos sind Peter Patzak ein glaubwürdiges Bild der politischen Umstände im Jemen und ein spannendes Geiseldrama gelungen – und wirklich beeindruckende Bilder, die sich auf angemessene Weise vor der wilden Schönheit der Wüste verneigen.
Kritik
Vor mittlerweile ziemlich langer Zeit habe ich im Sportteil des Berliner „Tagesspiegel“ gelesen, dass ein Offensivspieler von Hertha BSC die Möglichkeit hatte, eine Bundesliga-Begegnung nachhaltig positiv für den Fußballverein zu beeinflussen, doch dann habe er „einen Tick zu spät gezögert“, den Ball abzuspielen, und es war leider Essig mit der Nachhaltigkeit. Diese spitzfindige Beobachtung brachte mich einigermaßen ins Grübeln, ob ich vielleicht auch schon einmal hinsichtlich der einen oder anderen Chance einen Tick zu spät gezögert habe. Zum Beispiel mit der Zusammenstellung dieser Film- und Fernsehkritiken, die ich vor noch viel längerer Zeit für die TV-Beilage des Berliner Stadtmagazins „TIP“ geschrieben habe. Vor dem Hintergrund einer sich stetig wandelnden, in alle Himmelsrichtungen mäandernden Fernsehlandschaft, bieten diese Kritiken nämlich die seltene Gelegenheit, einen Rückblick auf fast zehn Jahre TV-Geschichte zu werfen und die Tops und Flops der Jahre 1997 bis 2006 wieder zu entdecken.
Den Schwerpunkt dieses Textarchivs bilden die Beiträge für die Rubrik „Zapp+Hopp“, die bis Ende 2006 fester Bestandteil des redaktionellen Teils und eine Art Auffangbecken für den ganzen TV-Trash, aber auch für viele wirklich sehenswerte Filmproduktionen war, für deren Erwähnung woanders kein Platz mehr war, bevor sie im Zuge eines von Sparmaßnahmen begleiteten Relaunchs in „Kurzkritik“ umbenannt wurde. Kurz darauf war es dann auch mit der Nachhaltigkeit der TV-Redaktion Essig. Ich danke an dieser Stelle meinen ehemaligen Kollegen Sven Poser, Regina Reddig und Denise Schöwing für das unermüdliche Ausbügeln von Genitiv-Fehlern und das Plattbügeln von Stilblüten aller Art. Wie hätte Ilja Richter gesagt? Leute, das war Spitze!
Deine besten Jahre (1999)
Vera Kemp, 36, hat sich zeit ihres Lebens ausschließlich mit den schönen Dingen dieser Welt umgeben. Die Leitung der Geschäfte hat die kunstbeflissene Firmenerbin ihrem schönen Mann überlassen, auf ihrem schön gedeckten Tisch brennen Kerzen, und wenn sie, wie heute, Geburtstag hat, dann kann sie sich sicher sein, dass ihr eine schöne Überraschung ins Haus im Grünen steht. Wie schon in seinem letzten Fernsehfilm „Bittere Unschuld“ nimmt sich Dominik Graf auch hier den drängenden Problemen an, die die High Society plagen: Ehebruch, Familiendünkel, knallharter Konkurrenzkampf, wenn es ums Geld geht. Dies alles, kameratechnisch virtuos und durchaus fesselnd in Szene gesetzt, mögen wir dennoch nur den relativ seltenen frustrierten Millionärsgattinnen dieses Landes zur Ansicht empfehlen – und Hauptdarstellerin Martina Gedeck, dass du, wenn du die persönliche Anrede erlaubst, Deine besten Jahre nicht noch einmal mit einer derart überflüssigen Story verschwendest. Kurzfassung unter höflicher Auslassung der Elemente, die frustrierte Millionärsgattinnen interessieren: In behütetem Reichtum Aufgewachsene entdeckt das Böse in der Welt, schluckt erst mal Pillen und liest dann einen sie rettenden Brief vor. Tragic!
Warten ist der Tod (1999)
Alfred Hitchcock hätte dieser Film auch gut gefallen: Drei ehemalige Luftwaffenflieger, frühzeitig pensioniert, finden sich im bürgerlichen Leben nicht zurecht und benehmen sich überhaupt nicht zivil – gemeinsam mit einem angeheuerten „Profi“ überfallen sie die Kassenräume einer Flugschau. Doch nicht um diesen gelungenen Bruch geht es in dem ungemein spannenden, zweiteiligen Thriller. Der Blick des Drehbuchautors und Regisseurs Hartmut Schoen, bisher vor allem als Dokumentarist aufgefallen, gilt ganz den Charakteren: dem alles kontrollieren wollenden Venske, der sich zwischen Ehefrau und Geliebter zerreibt, seinen beiden „Kameraden“ Kellermann und Glöckler und dem kleinen Laux in Nöten, der die militärisch agierende Heldentruppe als gar nicht so gewiefter Gauner komplettiert. Schon der Überfall geht beinahe schief, aber das ist nichts im Vergleich dazu, was sich hinterher abspielt. Da einige des millionenschweren Gaunerquartetts keine Böcke mehr haben, sich von Zahnbelag zu ernähren (diesen Ausspruch verdanken wir Helen Vita, die hier in einer kleinen Nebenrolle ein exquisites Darstellerensemble mit ihrem bodenständigen Humor krönt) und nicht abwarten wollen, bis das verabredete halbe Jahr bis zur Verteilung der Beute vorbei ist, fliegen bald schon die Fetzen, dass die Nerven nur so sirren. Und dafür braucht Schoen keine effektvollen Tricks – ihm genügt das Psychogramm des Perfektionisten Venske (hervorragend: Ulrich Tukur), der an seinen eigenen Werten und Prinzipien scheitert, um Hochspannung zu erzeugen: Warten ist der Tod.
Racheengel – Stimme aus dem Dunkeln (1999)
In Weißkittelkreisen wird man diesen Thriller nicht diskutieren, untermauert er doch die weit verbreitete Ansicht, der wahre Irre sei der Seelenklempner. Mit Racheengel – Stimme aus dem Dunkeln ist Götz George im aufregenden Kosmos der Serienmörder gestrandet: als gescheiterte Koryphäe der Psychiatrie, die sich – inzwischen selbst ein Fall für Bonnies Ranch – zum Richter so „minderwertiger, abartiger Geschöpfe“ wie Sexualverbrecher aufschwingt. Besonderer Coup für den „Nervenkitzel am Freitag“: Neben „Schimanski“ mimt mit „Sperling“ Dieter Pfaff gleich noch ein zweiter Kriminaler einen manischen Mörder. Ein zugegebenermaßen spannender Anstalts-Thriller von Thorsten Näter, der neben seiner Starbesetzung allerdings auch ein Klischee nach dem anderen auffährt. Trost bietet da nur die vom Sender dankenswerter Weise beigefügte „Hintergrund-Information“: „Niemand kann unter Hypnose zu Handlungen überredet oder gar gezwungen werden, die er eigentlich ablehnt.“
V.I.P. – Die Bodyguards (1998-2002)
Pamela Anderson Lee, mit ihrer Entscheidung gegen das Silikonimplantat der Konkurrenz wieder einmal zwei Brüste voraus, bleibt zwar der Serie und auch den Schönen und Reichen treu, wagt mit V.I.P. – Die Bodyguards jedoch den erfreulichen Sprung in die „aufgeklärte“ Welt der Dekolleté-Unterhaltung, die sich durchaus bewusst ist, dass der Heißhunger auf Luxus in der Regel mit einem Hot-Dog gestillt wird. Vom halb entblößten Rettungsengel zum Leibwächter für Beverly-Hills-Schnösel und zur Mitproduzentin aufgestiegen, hat sie gemeinsam mit Jonathan F. Lawton (u.a. Script für „Pretty Woman“) einen hyperbunten, schrillen Action-Comic kreiert, in dem es – ähnlich wie in „Pulp Fiction“ – eigentlich ständig um Belangloses geht, derweil sich die üppige Leiterin der exklusiven Agentur Vallery Irons Protection den bleihaltigen Plots stellt (Stichwort: kugelsicherer Schreibtisch). Gemessen an der Biederkeit von „Baywatch“, wo Pam nur dauernd planschte, ist der furztrockene Humor und der lockere, selbstironische Ton dieser Serie ein erheblicher Fortschritt.
Stille Nacht – Heilige Nacht (1999)
Die Weihnachtsvorbereitungen laufen auf Hochtouren. Während die einen Reißaus nehmen und sich auf einen Trip in die Einsamkeit der Berge machen, sacken die anderen schon einmal die Geschenke ein und überfallen, als Sankt Nikolaus getarnt, ein Kaufhaus. Bei den einen gibt es Streit, bei den anderen Verletzte und Tote, doch wie das Drehbuch so spielt kommen alle wieder glücklich zusammen und finden sich in der klaustrophobischen Enge einer Jagdhütte wieder. Mit seinem Psychothriller Stille Nacht – Heilige Nacht überspitzt Regisseur Thomas Stiller im Grunde nur, was Jahr für Jahr in deutschen Wohnzimmern unter dem Tannenbaum abläuft. Wo jedoch jeder mit Freund Heins Schlachtfest rechnen muss, da ist‘s mit der Harmonie endgültig Essig, und es entspinnt sich ein gelungener Kammerkrimi, der seine von diversen Lügengebäuden zusammengehaltenen Antihelden in eine Hölle aus Angst und Gewalt schickt. Eine eindrucksvolle Ensembleleistung krönt diesen höchst dramatischen Streifen.
Hin und weg (1999)
Heiß in Liebe entbrannt lernen wir David (Daniel Brühl) in seinem ersten Film kennen, den er gemeinsam mit Vater Hanno auf dem Regiestuhl realisierte. Und tatsächlich: Diese für eine Staffel der „Wilden Herzen“ entstandene Love-and-Crime-Story erweist sich auf den ersten Blick als liebenswert. Absolut glaubwürdig in den Charakteren, glänzend gespielt und ungemein spannend entwickelt sich hier eine mitreißende Achterbahnfahrt der Gefühle, die lediglich ganz zum Schluss unter einem etwas erzwungenen Happy End leidet. Von Brühls Filmpartnerin Katharina Schüttler jedenfalls ist man von Anfang an Hin und weg.
Biikenbrennen – Der Fluch des Meeres (1999)
Alles Quatsch, denkt der knallharte Software-Unternehmer Fölster, seiner asthmakranken Tochter Johanna zuliebe von Berlin an die Nordsee verzogen, und verbietet das ihm unbekannte Traditionsfest des Biikenbrennen – eine Art Halloween für Küstenbewohner –, das ausgerechnet vor seiner Haustür stattfinden soll. Dummerweise entpuppt sich der faule Zauber aber als handfester Alptraum und Der Fluch des Meeres schlägt gnadenlos zu: Johanna löst sich in Luft auf. Wer sich für übersinnliche Phänomene und phantastische Abenteuer erwärmen kann, der wird höflich über das doch eher blasse Spiel eines Christoph M. Ohrt hinwegsehen und sich an dem klugen Drehbuch von Timo Berndt, der vorzüglich verzauberten Landschaft um Ottenkoog und einem diabolischen Heinrich Giskes erfreuen, der diesem insgesamt gelungenen Mystery-Thriller zusätzlich Gesicht verleiht.
Verliebt in eine Unbekannte (1999)
Das schwülstige Italo-Komödchen Verliebt in eine Unbekannte stellt unter Beweis, wie variabel deutsche Fernsehnasen heute sein müssen. Hier mimt Gabriel Barylli nicht nur den Laiendompteur im Regiestuhl, sondern gleich auch noch einen Arzt, der einem Hallodri (Heio von Stetten) die Arbeitsunfähigkeit bestätigen soll. Was der von seinem Unfall längst genesene Versicherungsbetrüger nicht weiß: Im Koma hat sich die Verursacherin seines bemitleidenswerten Zustands (Cecilia Kunz) unsterblich in sein Herz gegraben. Ein unsäglicher Mix aus klebrig-sentimentalem Gefühlskitsch und unfreiwillig komischen Bonnie-und-Clyde-Allüren, der, von allerlei italienischen Schnulzen begleitet, zu einer immerhin überraschenden Lösung für sein vorprogrammiertes Happy End findet.
Der Voyeur (1999)
Reichlich mysteriös ging es schon in Roman Kuhns erstem Spielfilm „Die Schläfer“ zu, der sich ausgiebig an der herben Schönheit der britischen Kanalinsel Guernsey delektierte. Auch in seinem zweiten Thriller spielt die Location, wie es heute gern heißt, die größte Rolle. Seine erotische Entdeckung Claudia Mehnert jedenfalls darf sich praktisch ausschließlich ihrer Körpersprache bedienen, und so hat es Der Voyeur, ein erfolgreicher Geschäftsmann, der sich in Abwesenheit eines „dubiosen“ Italieners in dessen „atemberaubend“ schöne Gattin verguckt, vor allem mit den seltsamen Gestalten in der „morbiden, geheimnisvollen Atmosphäre“ des Grand Hotel Locarno zu tun, einem durchgeknallten Ex-Agenten zum Beispiel, der völlig unmotiviert für Rabatz sorgt. Ein in Hochglanzbildern vorgeführter Pseudo-Thriller, der letztlich nur Langeweile verbreitet.